Hans Meyer-Veden

Foto: Heidrun Kremser

»Fotografie als Wissenschaft einer ganzheitlichen Empathie«

Der Fotograf Hans Meyer-Veden 1931-2018

Ein Nachruf von Sabine Kock

»Photographie ist deshalb so schwer, weil sie allen so bekannt zu sein scheint« schrieb Hans Meyer-Veden 1995 in dem Begleittext zu seinem Buch: Hamburg in historischen Photographien 1842-1914. Es war die einzige seiner zahlreichen Publikationen in denen er Hamburg nicht selbst mit seiner Kamera erforschte, sondern die Liebe zu seiner Stadt über die frühen Pioniere der Fotografie erweiterte. Die Sammlung von historischem Bildmaterial war für ihn keine Suche nach Vorbildern, auch keine Huldigung an ein verklärendes Geschichtsbild einer Stadt oder die Auswahl von Pittoreskem. Vielmehr war es eine Aufforderung an den Betrachter die Bilder »mit dem Verstand zu betrachten, sie zu lesen und sie zu entziffern«. Was er damit meinte war die Suche nach einer Stadtgeschichte in Bildern, die nicht architektonische Repräsentanz selektiert und überhöht, sondern die vor allem die sozialen Prozesse einer Stadtgesellschaft als Erinnerung archiviert. Diese Botschaft von Dokumentarfotografie liegt aber nicht nur in den historischen Aufnahmen, sondern beschreibt den Kern seines eigenen fotografischen Selbstverständnisses: Ein Bild sollte nicht die Sehnsucht nach einem Ideal beschreiben, sollte kein Symbol oder eine metaphysische Überhöhung sein, sollte sich nicht in einen Wettkampf um Aufmerksamkeit begeben oder gar der Produktion eines medialen Weltbildes dienen, das an der Realität vorbeiproduziert wird.

Für Hans Meyer-Veden hatte das Verhältnis zur Realität etwas mit »Wahrheit« zu tun. Mit dem immer währenden Anspruch genau hinzuschauen, »etwas« sehr genau abzubilden, nach dem Inhalt zu fragen und nicht nur nach der Form. Das Abbilden der Realität konnte für ihn nicht durch den oberflächlichen Blick, das schnelle Auslösen der Kamera erfolgen, sondern bedurfte einer sorgfältigen Vorbereitung. Die Vorbereitung war für ihn das »Begreifen«. Vor allem aber brauchte es seine Art der Vermessung des Raums, bei der das Sehen hochsensible Anschauung war und sich die Wahrnehmung mit Verstand, Gefühl, Körper und Seele der Wirklichkeit öffnete. Für ihn war Fotografie eine »Wissenschaft der ganzheitlichen Empathie« zur Erforschung der Welt. Sehen und Wahrnehmen war für ihn nie das gleiche.

Diese Form der Arbeit war eine künstlerische Feldforschung, bei der der subjektive Blick Voraussetzung war, um das zu sehen, was objektive Wirklichkeit ist. In seinen Büchern und Bildern hinterlässt Hans Meyer-Veden einen Blick auf die Welt, die neben Bekanntem vielfach auch von Beiläufigem bestimmt ist. In meist menschenleeren Bildern schaute er als Mensch auf Orte, die von den Handlungen der Menschen in den Orten gekennzeichnet waren. Die Ästhetik der Bilder war für ihn kein Selbstzweck sondern immer das Trägermaterial für den sozialen Subtext einer Gesellschaft.

Das war nicht immer so. Hans Meyer-Veden war vieles: Bildjournalist, Fotodesigner, Hamburg-Fotograf, Reprofotograf, Landschaftsfotograf. Er hatte gute und langjährige Beziehungen zu seinen Auftraggebern, aber das »Künstlerische« musste sich erst entwickeln. Es kam über das Handwerkliche und brauchte Abstand vom gängigen Fotografen-Beruf. Es verlangte nach gedanklicher Freiheit, Reflexion und dem Mut das eigene Handeln in Frage zu stellen. Das Hinwenden zur dokumentarischen und konzeptionellen Fotografie ging über den Weg der Werbung, der Architektur-, der Theater- und der gewerblichen Fotografie, und über die Ehrlichkeit die eigene Bildproduktion irgendwann als inhaltslos zu begreifen. Ein Wandel, der nicht ohne Schmerz und Trennung auskam, beruflich wie privat. Die bis dahin geübte Jagd nach fotografischen »Trophäen«, die öffentlichkeitswirksam und wirkungsmächtig Bildinhalte generierten, interessierte ihn nicht mehr. Statt nach Illusionen wollte er nach Realitäten suchen. Der Vermarktbarkeit von Lebensraum wollte er Spuren einer gelebten Umwelt gegenüber stellen.

Fortan suchte er in seiner Nachbarschaft, in Stadtteilen, entlang der Elbe und darüber hinaus nach den »bildwürdigen Teilen der Realität« und fand Verlage, die seine eigeninitiativen Bildforschungen publizierten. Neben Einzelthemen sind es vor allem die sieben Bildbände über Hamburg, bei denen Hans Meyer-Veden immer wieder die historischen, sozialen und ästhetischen Gravuren unseres Stadtgedächtnisses bestimmte. Nicht in einer Vorfertigung, Lenkung oder Verführung unseres Blickes, sondern über die Offenheit seiner Bilder für einen zweiten Blick. Das einzelne Bild, davon war er überzeugt, war machtlos. Das Lesen in seinen Bildern funktioniert über die Serie. Auswahl und Zusammenstellung zu Themenbüchern maß er genauso viel Bedeutung bei, wie der Qualität der Aufnahmen. Erst im Neben- und Miteinander der Sammlung ist seine Aufforderung zum Lesen möglich.

In diesem großen Prozess der äußeren »Heimatforschung« lag für Hans Meyer-Veden aber auch immer ein kleinerer Teil von Selbstbeschreibung: Sichtbare Leere, Verhülltes, Entsorgtes oder Zerstörtes beschreiben ganz objektiv die Beziehungen der Dinge im Raum, sie beschreiben dahinter allgemeiner die Beziehung der Menschen zu den Dingen und manchmal eben auch die persönliche Beziehung eines Fotografen zu seiner Welt. Zu dem »äußeren« Bild kam so manchmal ein »inneres«. Aber ohne diese Feinfühligkeit, als eine Form der Annäherung zum Bildgegenstand, hätten viele seiner Bilder in ihrer besonderen Qualität nicht entstehen können. Neben aller handwerklichen Professionalität und dem eigenen Anspruch an dokumentarische Genauigkeit war es vor allem dieses intuitive Moment, das den Bildern ihre stille Kraft verleiht.

Hans Meyer-Veden hat Landschaften und Stadträume mit seiner Kamera durchwandert. Der landschaftliche und architektonische Raum war sein Untersuchungsgegenstand. Die Langsamkeit der Betrachtung eröffnete ihm Möglichkeiten einer anderen Wahrnehmung. Entstanden sind Aufnahmen von monumentaler Schönheit bis grenzenloser Abgründigkeit. Bei aller Tiefe und Vielschichtigkeit der Bilder resultierten sie jedoch auch immer aus einer unbändigen Lust am Leben und an der Arbeit als Fotograf. Sie schöpften sich aus einer Faszination an der Entdeckung der Welt, der Neugierde sie zu erkunden und der Phantasie ihr zu begegnen.

Hans Meyer-Veden hinterlässt menschlich und persönlich eine unersetzliche Lücke. Das von ihm fotografierte Hamburg, wird es so in Zukunft nicht mehr geben. In seinen Bildern zu lesen, wird dafür auf immer möglich sein. Auf den zweiten Blick und in der Art ihrer Beziehungen – das ist sein Vermächtnis.


Download:

Portrait von Hans Meyer-Veden
– Fotografie als Wissenschaft einer ganzheitlichen Empathie